Großes Interesse, hochrangig besetzte Vorträge: Mehr als 500 Interessierte nahmen von Oktober bis Dezember 2020 an einer Online-Vortragsreihe zum Thema "Ideologien, Strukturen und Praktiken der extremen Rechten in Deutschland" teil.
Online-Vorträge über die extreme Rechte in DeutschlandVon Oktober bis Dezember 2020 fand eine virtuelle Vortragsreihe über Ideologien, Strukturen und Praktiken der extremen Rechten in Deutschland an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg) statt. Das Interesse an den referierten Themen mit anschließender Möglichkeit zur Diskussion war immens. Insgesamt nahmen über 500 Interessierte an den Vorträgen hochrangiger Referent*innen teil und nutzten die anschließende Möglichkeit zur Diskussion.
Die
Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der OTH Regensburg intensiviert aktuell ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus. Neben der Verstetigung einer entsprechenden Lehrveranstaltung, der Planung von Forschungsprojekten und der Entwicklung hochschulpolitischer Handlungsstrategien im Umgang mit dem Phänomen soll auch die Einbindung in aktuelle Fachdiskurse verstärkt werden. Im Zuge dessen fanden von Oktober bis Dezember 2020 und in Kooperation mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus verschiedene Vorträge mit fünf externen Referent*innen statt, die sich unterschiedlichen Aspekten des Themas widmeten.
Notwendige Auseinandersetzung mit der ThematikProf. Dr. Clarissa Rudolph, die die Veranstaltung gemeinsam mit Prof. Dr. Martina Ortner von der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften und Jan Nowak von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus konzipiert und organisiert hatte, berichtete einleitend von den Anfängen ihrer Forschungsaktivitäten zum Thema Rechtsextremismus: „Zu Beginn vor über sechs Jahren war das Thema kaum präsent.“ Mittlerweile haben sich das gesellschaftliche Interesse und die Präsenz des Themas stark verschoben, unter anderem durch rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten.
„Auch die Soziale Arbeit ist in vielerlei Hinsicht mit diesem Thema konfrontiert“, ergänzte Prof. Dr. Ortner gerade im Hinblick auf die notwendigen Auseinandersetzungen mit dem Thema auch in ländlichen Räumen. Sowohl Lehrende als auch Studierende müssten sich fragen, wie mit rechtsextremistischen Aussagen im Hochschulbereich umgegangen werden soll.
Die Entwicklung der extremen Rechten Den Auftakt der Vortragsreihe machte Prof. Dr. Christoph Kopke, Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin. Er zeichnete in seinem Vortrag die Entwicklung der extremen Rechten nach 1945 nach, um die aktuelle Situation vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung besser verstehen zu können.
Im Nachgang des historischen Nationalsozialismus „haben wir von Beginn an etwas, was wir in der Bundesrepublik Deutschland als politisch rechtsextremistisch bezeichnen können“, so Prof. Dr. Kopke.
Völkische Landnahme in der BundesrepublikAndrea Röpke, bereits seit mehreren Jahrzehnten als Fachjournalistin mit dem Themenschwerpunkt extreme Rechte befasst, referierte über "Völkische Landnahme: Alte Sippen, junge Siedler*innen, rechte Ökos". Es zeigt sich, dass ihre bisherigen, vielfach ausgezeichneten Veröffentlichungen immer noch "traurige Realität" sind.
Rechtsextreme Gruppierungen werden zwar immer wieder verboten, doch „die Ideologien werden im Verborgenen weiter verbreitet“, so Röpke. Zudem werden die Gruppierungen selbstbewusster, tragen die politischen Einstellungen mittlerweile aktiv nach außen. Röpke appelliert zusammenfassend: „Wir sollten das, was sie sagen, sehr ernst nehmen.“
Antifeminismus als Bindeglied Von "Antifeminismus als Bindeglied zwischen der extremen Rechten und der ‚Mitte der Gesellschaft" handelte der Vortrag von Juliane Lang. Sie ist Autorin und Referentin in der politischen Bildungsarbeit mit dem Schwerpunkt Geschlechterverhältnisse und extreme Rechte. Nach einer theoretischen Hinführung zum Thema und dem Phänomen Antifeminismus nahm die Referentin eine politische Einordnung antifeministischer Akteur*innen und Strategien vor.
In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die Frage nach den Handlungsoptionen der Sozialen Arbeit und der Zivilgesellschaft debattiert: Offene Räume, enttabuisierte Diskussionen sowie Präventionsprogramme waren nur ein paar der Ideen.
Rechte Netzwerke in den SicherheitsbehördenRund 130 Interessierte nahmen an dem Vortrag zum aktuellen Thema "Extrem rechte Netzwerke in der Bundeswehr und den Sicherheitsbehörden" teil, dem sich Martina Renner, MdB für "Die Linke" und Obfrau im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss, widmete. In Serie werden immer wieder "Einzelfälle" rechtsextremer Aktivitäten in Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr bekannt.
Renner kritisierte diese Einzelfallperspektive und befürchtet, dass hierdurch Misstrauen gegen eben die Institutionen entsteht, die diese Fälle eigentlich aufklären müssten. Und: „Statt von Einzelfällen muss von Netzwerken ausgegangen werden“, so Renner, und forderte eine gründliche Aufklärung und Ermittlung der Taten durch eine unabhängige Stelle.
Antisemitismus als zentrales Element der extremen Rechten Der abschließende Vortrag über Antisemitismus in der extremen Rechten mit Prof. Dr. Samuel Salzborn fand in Kooperation mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Regensburg-Oberpfalz sowie der Stipendiat*innengruppe Regensburg der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung statt. Die Anschläge von Halle und Pittsburgh machen die traurige Aktualität dieses Themas deutlich. Prof. Dr. Salzborn betonte, dass „neben vielen weiteren Elementen der Antisemitismus ein wesentliches Element der extremen Rechten ist – Rechtsextremismus ist ohne eine Form des Antisemitismus nicht zu haben“, so seine zentrale These.
Nach einer theoretischen Hinführung des Begriffs "Antisemitismus", dessen offenste Form, laut Prof. Dr. Salzborn, die Leugnung der Shoah sei, ging er in der nachfolgenden Diskussion auch auf antisemitisches Denken und Verschwörungsmythen in Bezug auf die aktuelle "Querdenker-Bewegung" ein. Die insgesamt über 550 Zuschauer*innen zeigten sich in vielerlei Hinsicht interessiert und stellten neben etlichen Nachfragen zur beruflichen Praxis der Referierenden auch kritische Fragen zur Diskussion.
Viele kritische Fragen und eine rege DiskussionWelche Herausforderungen erleben Menschen, die sich in ihrer journalistischen Tätigkeit derartigen Risiken aussetzen? Was treibt Menschen dazu, sich in rechten Netzwerken und Gruppierungen zu engagieren? Wie kann ich in meiner Praxis als Sozialarbeiter*in auf rechtsextremistische Einstellungen oder Aussagen reagieren?
Jan Nowak von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus zeigte sich erfreut über das große Interesse und die vielfältigen Hintergründe der Teilnehmenden:
„Wir haben natürlich gehofft, mit unserem Programm auf Interesse zu stoßen, aber mit so vielen Teilnehmer*innen haben wir nicht gerechnet. Studierende und Lehrende der OTH waren unter den Zuhörer*innen genauso vertreten wie Praktiker*innen aus den Bereichen Soziale Arbeit und Bildung oder auch Aktive aus Initiativen gegen Rechtsextremismus aus ganz Ostbayern. Es hat sich gezeigt, dass es ein riesiges Interesse an einem Theorie-Praxis-Transfer und Vernetzung gibt, die OTH ist hierbei in der Region ein sehr wichtiger Kooperationspartner für uns. Gemeinsam können wir zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten und für ein demokratisches Gemeinwesen beitragen“.
Schon jetzt hat das Organisationsteam beschlossen, solche Vortragsreihen auch zukünftig regelmäßig anzubieten.