Mit dem Vortrag „Feminismus in Europa - Zwei Männer auf einer Reise durch einen Kontinent der Ungleichheit“ endet die Reihe „Das Geschlecht der Europa - Europäische Integration und Geschlechtergerechtigkeit“.
Gastvortrag über Feminismus in EuropaAm 7. Januar 2020 kamen die Aktivisten, Autoren und deutschen UN Women #HeForShe-Botschafter Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer an die Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg (OTH Regensburg). Sie berichteten von ihrer Reise durch zwölf europäische Länder im Frühjahr 2019, auf der sie sich mit den Fragen beschäftigten, wie es um die Gleichberechtigung in Europa steht und welche Rolle Männer im Feminismus spielen. „Es ist wichtig, dass auch Männer sich mit Feminismus beschäftigen“, starteten
HERR & SPEER, wie sich die beiden Aktivisten nennen, in ihren Vortrag. Die Frage „Wie kann man die Gesellschaft gerechter machen?“ führte die beiden dazu, sich mit Geschlechtergerechtigkeit zu beschäftigen. Durch ihre Aktivitäten wollen sie auf das Thema aufmerksam machen und Menschen sensibilisieren.
Die Eindrücke und Erfahrungen, die sie durch Interviews, Gespräche und Veranstaltungen sammelten, fassten sie in sieben Beobachtungen zusammen:
Das Schreckwort „Feminismus“„Vor allem in Osteuropa ist der Begriff ‚Feminismus‘ negativ konnotiert und ruft Zurückhaltung bis hin zu Ablehnung hervor“, berichteten HERR & SPEER. Doch auch wenn sich die meisten nicht öffentlich als Feministin oder Feminist bekennen würden, bestünde laut der Aktivisten bei manchen jüngeren Menschen Interesse an dem Thema. „Die Europäische Union bewegt sich bei der Geschlechtergerechtigkeit im Schneckentempo voran“, zitieren sie einen Bericht des
Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE), eine von der Europäischen Union (EU) finanzierte Agentur mit Sitz in Vilnius, Litauen. Das EIGE untersucht Geschlechtergerechtigkeit anhand von Indikatoren. Vor allem der Indikator, der den Zugang zu Machtstrukturen für Frauen abbildet, zeichnet mit 51,9 von 100 Prozentpunkten im EU-Durchschnitt ein düsteres Bild des Status quo.
Engagement ist weiblich, Macht ist männlichWährend die politische Macht noch immer mehrheitlich in männlicher Hand sei, engagierten sich Frauen oft demokratisch und ehrenamtlich, berichteten HERR & SPEER: „Auf unserer Reise trafen wir deutlich mehr Frauen als Männer, die sich für soziale und Umweltfragen engagierten.“ Als Beispiele nannten sie die „Anti-Brexit-Superheldin“ Madeleina Kay, Klimaaktivistin Greta Thunberg, Europa-Aktivistin Katja Sinko, Feministin Kristina Lunz oder Carolina Almeida Cruz, die während der Krisenjahre in Portugal beim Aufbau einer vitalen Jungunternehmerszene mitwirkte. „All diese Frauen setzen sich für ein gerechtes und nachhaltiges Europa ein“, sagten sie und wiesen darauf hin, dass aktuell 40,4 Prozent der Abgeordneten im EU-Parlament Frauen seien – unter anderem aufgrund eines wachsenden Anteils der Grünen.
Traditionelle Familienbilder und Ungleichheit bei der Care-Arbeit„Die tägliche Care-Arbeit in Europa wird zu zwei Dritteln von Frauen und nur zu einem Drittel von Männern erledigt“, betonten HERR & SPEER und führten an, dass unter den traditionellen Familienbildern nicht nur Frauen, sondern auch Männer litten und ein Aufbrechen dieser starren Rollenzuschreibungen zahlreiche neue und vielfältige Lebenswege ermöglichen würde. „Männer brauchen einen Zugang zum Feminismus, indem sie die Welt aus den Augen der Frauen sehen können“, sagten sie und wiesen darauf hin, dass bestimmte Alltagssituationen, in denen Frauen Diskriminierung oder Sexismus erleben, Männern oft verborgen blieben.
Sicherheit und Gewalt„Jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben irgendwann einmal Gewalt“, berichteten die Aktivisten und erzählten von ihrem Besuch bei einer Richterin in Madrid, die sich für Opfer von Menschenhandel oder häuslicher Gewalt einsetzt und den beiden offenbarte, dass sich Männer in der Regel nicht für die Inhalte ihrer Arbeit interessierten – und dass, obwohl in Spanien eine der größten #MeToo-Bewegungen stattfand.
Körperliche SelbstbestimmungIn Nordirland trafen HERR&SPEER Aktivistinnen und Aktivisten einer Grassroots-Bewegung, die in Belfast auf die Straße ging, um sich für die Legalisierung von Abtreibung auszusprechen. Sie berichteten, dass gleichzeitig eine andere Gruppe junger Menschen gegen das Abtreibungsrecht demonstrierten. Trotz des Widerstands stimmte eine Zweidrittelmehrheit schließlich für eine Lockerung des Abtreibungsverbots. „Daran sieht man, dass politisches Engagement etwas bewirken kann“, betonten sie.
Männer und Feminismus?Bei der Frage, ob sich jemand als Feministin oder Feminist bezeichnen würde, gäbe es wenig Zweifel. Trotz der Komplexität des Begriffs, positionierten sich die meisten entweder klar dafür oder klar dagegen, erklärten HERR&SPEER: „Daran wird deutlich, wie polarisierend das Thema ist.“ In Europa sei die Idee, dass Männer sich für Feminismus engagieren noch nicht weit verbreitet. Die globale Kampagne #HeForShe, die auch von HERR&SPEER unterstützt wird, sei eine Idee, Männern einen einfachen Einstieg in die Thematik zu geben.
Die Zukunft ist weiblich„Auf unserer Reise haben wir viele kluge und tolle Frauen kennengelernt, die sich für ein gerechtes Europa einsetzen“, resümierten die beiden ihre Erlebnisse. „Wir haben festgestellt, dass Frauen eher pro-europäische und weniger populistische Parteien wählen als Männer“, fuhren sie fort und beendeten ihren Vortrag mit dem Plädoyer: „Wenn wir als Kontinent Frauen fördern, dann fördern wir auch Europa!“
Mit einer anregenden Diskussion mit dem Publikum endete der Vortragsabend und somit auch die Veranstaltungsreihe, die in Kooperation der Hochschulfrauenbeauftragten, der Fakultät
Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften und der Servicestelle
Gender und Diversity durchgeführt wurde. Prof. Dr. Clarissa Rudolph bedankte sich bei Veronika Rösch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Geschlechterforschung, für die gute Konzeption und Organisation der Vorlesungsreihe.