Zum Thema "Sozialer Aufstieg durch Bildung" referierte im Juni 2021 der emeritierte Prof. Dr. Helmut Heid vor 72 Interessierten im Soziologie-Seminar der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften.
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Armut und UngleichheitIn der Lehrveranstaltung hatten sich die Studierenden mit dem Thema "Armut und Ungleichheit" beschäftigt. Im Fokus stand dabei vor allem die "Kinderarmut" von der inzwischen jedes fünfte Kind in Deutschland betroffen ist. „Bildung wird als Lösung des Problems angesehen, aber gleichzeitig ist der so oft propagierte ‚Soziale Aufstieg durch Bildung‘ in Deutschland extrem schwierig“, so Prof. Dr. Ina Schildbach von der
Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften. „Die Schichten verfestigen sich“.
„Bildung gibt es nicht“Prof. Dr. Helmut Heid, emeritierter Pädagogik-Professor, stellte in seinem Vortrag die Paradoxie der Forderung nach "Aufstieg durch Bildung" heraus und überraschte zu Beginn mit der Aussage „Bildung gibt es nicht“. Wissenschaftler*innen seien aufgefordert zu hinterfragen und vermeintlich Unverrückbares auf den Prüfstand zu stellen; es gehe um eine intersubjektive Überprüfbarkeit.
Bildung wir oft definiert mit „vielen Wissen“ bzw. mit „vielen wichtigen Wissen“. Aber das ist laut Prof. Dr. Heid nicht "Bildung", sondern einfach nur "umfassendes Wissen". Bildung sei lediglich eine gesellschaftliche Zuschreibung, die sich vor allem an ökonomischen Verwertbarkeitskriterien orientiert. „Bildung ist das, was definiert wird als das, was Bildung sein soll“, betont der Referent.
In der Forderung des "Aufstiegs durch Bildung" werde festgeschrieben, dass es Gebildete und Ungebildete gibt. Es wird akzeptiert, dass es ein "soziales Oben" und ein "soziales Unten" gibt ohne zu hinterfragen, was diese Zuschreibungen bedeuten und welche Auswirkungen sie auf die Individuen haben.
Viele Studien belegen, dass in der Schule die Kinder mit hohem Sozialstatus erfolgreicher sind. Die frühe Verteilung der Schüler*innen auf verschiedene Schulzweige befördere diese Ungleichheit. „Warum ist das so und was ist die Konsequenz dieser Verzerrung?“, so Prof. Dr. Heid.
„Begabung ist nicht genetisch fixiert“Prof. Dr. Heid ging in seinen assoziativen Vortrag auf Fragen der Studierenden ein, die sich mit einem seiner Texte aus "Arbeiterkinder und ihre Aufstiegsangst" (2019) auf die Veranstaltung vorbereitet und Fragen an ihn geschickt hatten. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage „Was kann man besser machen?“.
„Begabung ist nicht genetisch fixiert“, betonte der emeritierte Pädagogik-Professor. Ein neugeborenes Kind sei ein Subjekt seiner eigenen Entwicklung und kein „Objekt der Belehrung und der Formung“. Es gehe nicht darum, Kindern beizubringen „zu wollen, was sie sollen“. Es könne nicht nur „Ja-Sager“ geben, stellt Prof. Dr. Heid fest. „Das dämmert inzwischen sogar der Ökonomie“. Im Vordergrund stehe zunehmend die Vermittlung von spezifischen Kompetenzen und nicht ein abstrakter Bildungsbegriff.
Auf die Frage einer Studentin, ob und wie er mit dem Bildungssystem zufrieden ist, antwortete Prof. Dr. Heid, dass er selbstverständlich der Ansicht ist, dass Grundfertigkeiten und grundlegendes Wissen vermittelt werden müssen. Seine Kritik beziehe sich auf die Funktion, die Bildung in der Gesellschaft hat. Es könne nicht nur um "Verwertbarkeit" gehen.
An den Gastvortrag, an dem auch – auf Einladung von Prof. Dr. Ina Schildbach- Studierende eines Kurses von Prof. Dr. Lutz Galiläer, TH Nürnberg, teilgenommen hatten, schloss sich eine rege Diskussion an. Prof. Dr. Heid bot an, weitere Fragen per E-Mail zu beantworten. „Die Aufgabe der Wissenschaft, zum Denken anzuregen, haben Sie herausragend erfüllt“, betonte abschließend Prof. Dr. Ina Schildbach.